„Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu Tanzen verstünde.“
Friedrich Nietzsche
Mit seinen neuen Tanz-Bildern lässt der Maler und Fotograf Stefan Szczesny ein altes Motiv wieder aufleben. Lebensfreude, kultische Riten und Ekstase haben Menschen seit Jahrtausenden dazu veranlasst, nach Melodien und Rhythmen zu tanzen. Der Tanz um das Goldene Kalb ist ein Mythos im 2. Buch Mose, noch wesentlich älter sind europäische, asiatische und afrikanische Felsmalereien wie die tanzenden Schamanen in der Drei-Brüder-Höhle in Südfrankreich oder steinzeitliche Malereien im indischen Bhimbetka.
Der gemeinsame Tanz ist eine Legende der vormodernen Zivilisation, die Lucas Cranach in seinem berühmten Gemälde Das Goldene Zeitalter als Reigentanz mit Badenden in einem prachtvollen Garten festgehalten hat. (Abbildung 1: Lukas Cranach, Das Goldene Zeitalter, 1530, Alte Pinakothek München)
Homer greift in der griechischen Mythologie in seinen Sagen „Ilias“ und „Odyssee“ auf die Tänze des Alltags zurück. Vor allem aber auf die „Chorea“, ein Reigentanz auf einem Tanzplatz, Hochzeitstänze oder den dionysische Tanz zur Kommunikation von Sterblichen mit Unsterblichen, zwischen Menschen und Göttern. Teile der Texte waren Gesänge und meistens waren die Tänzer auch Sänger.
Der venezianische Renaissancemaler Tizian drückt Sinnlichkeit und Lebensfreude in seinem Gemälde Bacchus und Adriane aus, doch spitzt sich das Drama zwischen dem Verräter Theseus, Adriane und dem Gott des Weines auf Naxos zu. Bacchus, der von berauschten Tänzern wie Satyr und Silenen aus dem Wald begleitet wird, symbolisiert enthemmte Körperlichkeit, während Adriane sich in platonischer Liebe nach dem am Horizont davon segelnden Theseus verzehrt. Die Dynamik der Figuren und der Rhythmus der tanzenden Figuren ist wie in einer Filmsequenz in diesem Moment eingehalten. (Abbildung 2 : Tizian, Bacchus und Ariadne, ca. 1520, London National Gallery)
Vom kultischen Tanz zum Gesang eines Vortänzers, dem Reigentanz in der Renaissance bis zum hüpfenden Tanz beim Opern-Ball haben sich die Formen des Tanzes in der Neuzeit ausdifferenziert. Heute noch werden kultischen Liturgien bei den Derwischen in Konya, Kreistänze in Griechenland und Spanien auf Volksfesten aufgeführt.
Zu Beginn der klassischen Moderne 1909 lässt Henri Matisse auf einem grünen Hügel fünf Tänzerinnen in seinem grossen Gemälde splitternackt in einer Reihe tanzen. Kraft, Musik, Lebensfreude und ausladende Bewegung sowie der Komplementärkontrast der leuchtenden Farben Grün, Blau, Rot verleihen diesem Meisterwerk eine Noblesse, die beim Auftraggeber in Moskau jedoch für einen Skandal sorgte. Der Unternehmer und Kunstsammler Sergei Schtschukin wollte in seinem Haus eigentlich keine Nackten. Für Matisse war das Gemälde sein Durchbruch auf dem Weg in die Moderne. Abstraktion und Dekoration schlossen sich nicht mehr aus. Die lustvollen Tänzerinnen versuchen leidenschaftlich die Lücke im Reigen zu schließen und Matisse löst die Malerei aus ihrer Starre. (Abbildung 3 : Henri Matisse, La Danse, 1909, Museum of Modern Art, New York, 291 x 360cm)
Cranach, Tizian und Matisse sind Kronzeugen der neuen Gemälde von Stefan Szczesny, der mit den Tanz-Motiven an ein Thema anknüpft, dass er seit fast vierzig Jahren anhand von Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen, Fotografien, Grafiken und Keramik immer wieder verarbeitet und variiert hat. (Abbildung 4 : Stefan Szczesny, Tanz, 1982, Öl und Acryl auf Leinwand, 180 x 250 cm, Privatsammlung Mannheim)
Näher an der Musik als an der Literatur schweben die Tanz-Bilder vorbei wie in den Gemälden „Dance on the Beach“ oder „Dance in the Morning Hours“. Sie klingen auf und verklingen wieder, ein kurzer Moment des Glücks. Musik, Rhythmus und Harmonie geben den Tänzern ihre Aura, denn beim Tanzen umgibt die Menschen eine beschwingte Schönheit und schwerelose Anmut. Ob die Tänzer zu den endlosen Modulationen der „Goldberg Variationen“ von Johann Sebastian Bach oder zum virtuosen Sound des amerikanische Jazz-Trompeters Miles Davis in Schwung kommen, erfahren wir erst nach längerem Betrachten. Ohne Musik kein Tanz.
Die Gemälde von Szczesny sind durchdrungen von der Leichtigkeit und Heiterkeit des Mediterranen in Südfrankreich und an der Côte d’Azur. Orientiert an Henri Matisse, Jean Cocteau, Marc Chagall, Pierre Bonnard und Pablo Picasso konzentriert er sich auf Akte, Stillleben, Natur und Landschaft wobei Segelschiffe, Palmen, das Meer, die Sonne, Blumen und Früchte seine Motive in leuchtenden Farben dominieren. Wie Tizian in Venedig, El Greco in Sevilla, Pablo Picasso in Cannes, David Hockney in Los Angeles oder Robert Rauschenberg in New York findet er seine Motive im Alltag und setzt diese als Passstücke oder Collagen in seine Bildwelt ein. Denn die Formensprache des Künstlers ist eine gestisch bestimmte subjektive und lebensbejahende Figuration. (Abbildung 5 : Stefan Szczesny, Orange, Red, Green and Blue, 2019)
Gleichzeitig ist Szczesny ein sehr politischer Künstler, fast ein Aktivist, der ganz bewusst Lebensfreude, Optimismus und Sinnlichkeit einer bizarren und menschenverachtenden Realität entgegensetzen will, die die Welt täglich an den Rande des Abgrunds zu bringen vermag. In diesem Sinne hat seine Bildwelt eine versteckte Symbolik, eine allegorische Botschaft : eine Aufforderung zu Humanismus, Liebe, Miteinander und Toleranz.
In seinem Atelier auf der Halbinsel von Saint Tropez entsteht sein Oeuvre, das die leuchtenden Farben und die anmutigen Motive festhält. Das Licht, die Farben und die Wärme haben ihn dorthin gebracht, nun hat er sich sein eigenes Paradies aus Kunst und Leben erschaffen. Saint-Tropez ist ein verrücktes Dorf in die seine Kunst genau zu passen scheint. Übermut, Lebensfreude, Ruhe und Ausgeglichenheit, Muse und Melancholie, Schönheit und Eleganz liegen in der Luft. „Jeden Tag anderes Licht. Abends ist der Himmel rosa, das Meer golden“, sagt der Künstler und strahlt vor Glück. Gerade mit den Tanz-Bildern hofft Szczesny, dass der Funke überspringt, dass wir ebenso viel Freude beim Genießen der Kunstwerke empfinden wie der Künstler beim Malen: „Letztlich will ich im positiven Sinne mit einem Bild ein Gefühl auslösen, ein warmes Gefühl, ein Glücksgefühl, etwas Positives.“
Stefan Szczesny setzt als Botschafter des Glücks auf den Tanz als ältester Kulturtechnik, um Freude, Schwerelosigkeit und Erleuchtung zu erleben. Von den rituellen Tänzen Afrikas, über die Sardana in Spanien bis zur Techno Party in Miami lassen sich die Tänzer von den Rhythmen und den Beats antreiben, geraten in Trance und Verzückung und erleben die Bewusstseinserweiterung in der Gemeinschaft.
Mitten in Miami zeigt Szczesny, der Weltbürger, sein Panorama des Goldenen Zeitalters im exotischen, karibischen Umfeld von Südflorida. Auch hier gehören seine Symbole von Lebensfreude, Wärme und Licht wie Palmen, Tänzerinnen, Blumen, Bananen und Zitronen sowie das glitzernde Meer zur Umgebung. Seit langem sind Saint Tropez, Miami und Mustique für Szczesny inspirierende Orte an denen er gerne lebt und arbeitet. Denn der absolute Sehnsuchtsort für ihn und seine tanzenden Schönheiten ist der Tropical Garden. Und davon gibt es in Miami einige…
Dr. Hans-Joachim Petersen, Venedig im Oktober 2019
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